Das ist ein schwarz-weißes Foto. Herta Ley trägt ein Latzkleid und einen karierten Schal. Dazu eine helle Mütze. Sie ist von der Seite aufgenommen und wird an der linken Hand von einer größeren Person gehalten.

Herta Ley, etwa Frühjahr 1932.

ArEGL.

HERTA LEY (1930 – 1942)

Herta Ley wurde am 9. Oktober 1930 in Westrhauderfehn, Kreis Leer, geboren. Sie erkrankte mit zwei oder drei Jahren an einer Hirnhautentzündung. Ihr Vater Wessel Ley war Arbeiter und Landwirt. Über die Mutter Gesine Ley ist wenig dokumentiert. Sie arbeitete in der Landwirtschaft mit und hielt ab 1939 den Hof. Herta hatte eine zwei Jahre jüngere Schwester Ilse.

Herta Ley wurde im Alter von fast fünf Jahren in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission aufgenommen. Die Einweisung wurde durch den Kreisarzt veranlasst, der bei einer gelegentlichen Untersuchung einen »angeborenen Schwachsinn schwersten Grades« feststellte. Bei der Aufnahme gaben die Eltern an, Herta könne ein paar Worte sprechen, gehen, sitzen und stehen, jedoch wurden diese Angaben bezweifelt und die Diagnose »Idiotie« gestellt. Auch fehlen in den Arztberichten Zuschreibungen wie »unsauber«, »kann nicht alleine essen« etc., sodass angenommen werden kann, dass Herta bei ihrer Aufnahme tatsächlich in einem gewissen Maße selbstständig war.

Herta wurde zu Weihnachten beurlaubt und hin und wieder von ihrer Mutter besucht. Herta nahm in der Rotenburger Anstalt jedoch eine schlechte Entwicklung. Sie verlernte das Laufen, Sprechen und verlor ihre Selbständigkeit. Offenbar wurde sie nicht gefördert und stattdessen vernachlässigt. Kurz vor ihrer Verlegung nach Lüneburg 1941 heißt es abschließend »Ganz tiefstehendes Mädchen, das sich selbst schlägt und beißt.« Zwei Monate später schrieb der Lüneburger Arzt Willi Baumert über Herta: »Völlig tiefstehend und offenkundig bildungsunfähig«.

Im November 1941 wurde an die Eltern ein Schreiben geschickt, das sie darüber in Kenntnis setzte, dass ihre Tochter hochfieberhaft an einem Bronchialkatarrh erkrankt sei. In der Akte ist hierzu nichts vermerkt. Vermutlich war Herta gar nicht erkrankt, sondern wurden ihre Eltern versehentlich angeschrieben.

Laut Akte erkrankte Herta erst Ende Januar / Anfang Februar 1942 fieberhaft. Sie starb am 3. Februar 1942 im Alter von elf Jahren. Die in der Todesanzeige angegebene offizielle Todesursache lautete »doppelseitige Lungentuberkulose«, obwohl sich hierzu kein einziger Eintrag in ihrer Krankenakte findet. Hierbei bezog sich Willi Baumert auf vermeintliche Tuberkulose-Vorerkrankungen von Herta. Doch diese hatte es nie gegeben. Das geht aus zwei Arztberichten hervor, die 1936 und 1940 erstellt wurden. Zweimal war Herta Ley mit Verdacht auf Lungen-Tbc untersucht worden, beide Untersuchungen waren jedoch ohne Befund. Bei der Untersuchung 1940 wurde sogar festgestellt: »Der Durchleuchtungsbefund liess nichts für eine Tbc. erkennen, jedoch einen Herzfehler vermuten, möglicherweise einen angeborenen. […] Lungenfelder einwandfrei«.

An den Vater, der zur gleichen Zeit im Lager Löningen seinen Heimatschutzdienst leistete, gingen noch am Todestag ein Telegramm und ein ausführliches Schreiben. Darin hieß es: »Wie ich Ihnen bereits telegraphisch mitteilte ist Ihre Tochter Herta Ley heute Vormittag 3,30 Uhr sanft entschlafen.« Sie wurde drei Tage später auf dem Anstaltsfriedhof, dem heutigen Friedhof Nord-West, bestattet.

Im Strafprozess wegen Mordes gegen Max Bräuner, Willi Baumert und die Pflegerin der Mädchenstation Dora Vollbrecht 1962 – 1966 wurde Hertas Krankenakte am 12. Juni 1963 als Beweisstück angeführt. In ihrer Befragung konnte Dora Vollbrecht die Tötung vieler namentlich benannter Kinder jedoch nicht mehr erinnern. 1966 wurde Dora Vollbrecht außer Verfolgung gesetzt, 1980 das Strafverfahren gegen sie wegen Verfahrensunfähigkeit endgültig eingestellt.

Nach dem Tod von Herta bekam ihre Mutter Gesine noch zwei Mädchen, Wilma und Hanne. Weil Hanne am gleichen Tag geboren wurde wie Herta, sollte sie erst den Namen Herta tragen. Erna, die Schwester von Gesine, verhinderte dies. Sie hatte sich um Herta gekümmert, bevor diese in die Anstalt aufgenommen wurde und erzählte später von ihr. Ihre Schwester Hanne trug zur Aufarbeitung von Hertas Schicksal bei.

HERTA LEY

Herta Ley ist 1930 in West-Rhauder-Fehn geboren.
Das ist im Land-Kreis Leer.

Mit 2 Jahren hat sie eine Hirn-Haut-Entzündung.
Das ist gefährlich.
Dann ist das Gehirn entzündet.
Es kann zu einem Schaden kommen.
Und das ist bei Herta passiert.
Sie bekommt eine geistige Behinderung.

Der Vater ist Arbeiter und Bauer.
Auch die Mutter arbeitet in der Land-Wirtschaft.
Herta hat eine jüngere Schwester.

Sie kommt nach Rotenburg.
In die Anstalt.
Da ist sie fast 4 Jahre alt.
Das hat ein Arzt entschieden.
Es ist der Arzt aus dem Gesundheits-Amt.

Die Eltern sagen:
Herta soll zu Hause bleiben.
Sie kann laufen, sprechen, sitzen, essen, trinken.
Alles alleine und ohne Hilfe.
Aber der Arzt glaubt den Eltern nicht.
Darum bleibt sie in Rotenburg.

Dort geht es Herta schlecht.
Nach 2 Jahren kann sie nichts mehr alleine.
Sie kann nicht mehr sprechen und laufen.
Auch alles andere hat sie verlernt.
Denn keiner hat mit ihr geübt.

Im Oktober 1941 kommt Herta nach Lüneburg.
Dort ist eine Anstalt.
Sie kommt in die Kinder-Fach-Abteilung.
Das ist eine Abteilung nur für Kinder und Jugendliche.

Nach 4 Wochen bekommen die Eltern einen Brief.
Darin steht:
Herta ist krank.
Sie hat Fieber.
Aber das stimmt nicht.

Im Januar 1942 wird Herta wirklich krank.
Sie bekommt ein Medikament.
Und zwar viel zu viel davon.
Mit Absicht.
Sie soll sterben.
Sie stirbt am 3. Februar 1942.

Der Arzt sagt:
Herta stirbt an einer Lungen-Krankheit.
Sie heißt Tuberkulose oder T B C.
Aber auch das stimmt nicht.
Der Arzt lügt.
Herta hat kein T B C.
Es gibt sogar einen Beweis.
2 Mal wird sie unter-sucht.
2 Mal hat sie kein T B C.

Die Wahrheit ist:
Herta ist ein Opfer des Patienten-Mordes.

Sie wird auf dem Fried-Hof der Anstalt beerdigt.
Das ist der Fried-Hof Nord-West.

Viele Jahre später ist eine Pflegerin vor Gericht.
Sie hat Herta das Medikament gegeben.
Sie hat Herta ermordet.
Aber sie sagt:
Ich kann mich an nichts erinnern.
Darum bekommt sie keine Strafe.
Das ist im Jahr 1966.

Nach dem Tod von Herta werden 2 Schwestern geboren:
Das eine Mädchen soll auch Herta heißen.
Weil sie am gleichen Tag geboren ist wie Herta.

Die Tante sagt: Nein!
Gebt dem Kind einen eigenen Namen.
Herta ist ermordet worden.
Ihre Schwester soll davon frei groß werden.

Also bekommt die Schwester den Namen Hanne.
Später erzählt die Tante die ganze Geschichte.
So erfährt Hanne von der Ermordung ihrer Schwester.