Es sind vier schwarz-weiße Fotos. Sie sind auf einem Papier aufgeklebt und handschriftlich beschriftet. Auf jedem Foto sind mehrere Personen, Kinder und Erwachsene, zu sehen. Oben links ist eine Spielsituation bei warmem Wetter zu sehen. Daneben die Familie vor dem Weihnachtsbaum. Unten links eine Gruppe Personen jeden Alters aufgereiht zu einem Foto auf einer Treppe. Unten rechts die Familie in einem Schrebergarten.
Es ist ein schwarz-weißes Foto. Ulla und Günter Schulze sitzen auf einem Schlitten und wurden von der Seite fotografiert. Ulla hält eine Puppe im Arm. Sie sitzt auf dem Schoß von Günter. Beide gucken zur Kamera.

Auf vier Fotos aus einem Album ist Günter Schulze inmitten seiner Familie zu sehen. Er war ein fröhliches Kind und immer dabei, 1938.

Privatbesitz Ursula (Ulla) Heins | ArEGL 86.

Seite aus einem Familien-Album, 1938 – 1941.
Foto der Geschwister Ulla und Günter Schulze beim Schlittenfahren, 1940.

Privatbesitz Ursula (Ulla) Heins | ArEGL 87.

GÜNTER SCHULZE (1936 – 1944)

Günter Schulze war nur einen einzigen Monat Patient in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg. Er wurde am 10. Juli 1944 aufgenommen, vier Wochen später, am 5. August 1944, wurde er ermordet. Er starb mit sieben Jahren. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt Feldwebel. Seine Mutter sorgte allein für die Kinder. Die siebenköpfige Familie mit schlesischen Wurzeln lebte in Hannover-Langenhagen.

Günter war das vierte Kind von Gertrud Schulze, geborene Dubiel, und Max Schulze, der Tapetendrucker war. Nach Günters Geburt am 1. Oktober 1936 wurde seine Schwester Ursula geboren. Es gab noch drei ältere Geschwister. Die Familie war glücklich, Günter erfuhr Teilhabe und liebevolle Zuwendung. Er war ein fröhliches Kind und bei allen Familienaktivitäten dabei.

Günter war ein sogenanntes »Reichsausschusskind«. Seine Einweisung in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« ging vom Gesundheitsamt Hannover-Land aus. Die Hilfsärztin begründete ihren Antrag beim »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« in Berlin mit einem »angeborenen Wasserkopf« und seiner Entwicklungsverzögerung. Hinter der Formulierung »[wir] bitten Sie, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen« verbarg sich die Prüfung und Entscheidung, ob Günter für eine Tötung infrage kam.

Bereits zwei Wochen später wies der »Reichsausschuss« die Aufnahme an. Der Mutter widerstrebte es, ihr Kind nach Lüneburg zu bringen. Erst sechs Wochen später wurde Günter aufgenommen. Er wurde von seiner Mutter gebracht.

Günter konnte sprechen, seinen Namen nennen, alleine essen und wurde als ruhig und »freundlich«, »willig und folgsam« beschrieben. Nach dem Eintrag »bildungsunfähig« in seiner Krankengeschichte sind nur noch seine letzten elenden Tage dokumentiert. Offiziell wurde die Todesursache »Darmentzündung und Bronchitis« angegeben. Er starb am 5. August 1944, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgelöst durch eine Überdosis eines Betäubungsmittels. Sein Leichnam wurde auf Wunsch der Mutter nicht in Lüneburg bestattet, sondern nach Langenhagen überführt.

Über ein halbes Jahr später verweigerte Gertrud Schulze Zahlungsaufforderungen, für die Verpflegungskosten ihres ermordeten Sohnes Günter aufzukommen, die ihr seitens der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg in Rechnung gestellt worden waren. Am 17. Oktober 1945 – über ein Jahr nach dem Tod ihres Sohnes – wurden ihr die Kleidungsstücke ihres Sohnes persönlich ausgehändigt.

GÜNTER SCHULZE

Günter ist Patient der Kinder-Fach-Abteilung.
Für vier Wochen.
Er stirbt am 5. August 1944.
Da ist er sieben Jahre alt.

Günter hatte vier Geschwister.
Seine jüngere Schwester ist Ulla.
Seine älteren Geschwister kümmern sich um ihn.
Er ist glücklich.
Er ist immer dabei.

Günter hat einen Wasser-Kopf.
Deswegen wird er gemeldet nach Berlin.
Dort entscheiden drei Ärzte:
Günter muss in eine Kinder-Fach-Abteilung.
Obwohl sie Günter gar nicht kennen.
Ohne ihn anzugucken.

Günter kann sprechen.
Er kann alleine essen.
Er kann laufen.
Er ist freundlich und fröhlich.
Aber der Arzt entscheidet trotzdem:
Günter muss sterben.
Weil er nicht zur Schule gehen kann.

Er wird mit einem Medikament ermordet.
Es geht schnell.

Seine Mutter entscheidet:
Die Leiche von Günter darf nicht in Lüneburg bleiben.
Sie muss nach Hannover.
Da wohnt die Familie.

Die Mutter von Günter ist wütend.
Über den Tod von Günter.
Sie bekommt eine Rechnung.
Sie soll für die Kinder-Fach-Abteilung bezahlen.
Sie sagt:
Nein!
Ich bezahle nicht für den Tod meines Kindes.
Sechs Monate sagt sie: Nein!

Dann ist der Krieg vorbei.
Es vergehen sechs Monate.
Es dauert.
Am Ende bekommt Mutter die Sachen von Günter zurück.
Wenigsten das.