HERBERT (1928 – 1945) UND WILLI KÖHLER (1928 – 1988)

Die Zwillingsbrüder Herbert und Willi Köhler wurden am 18. August 1928 in Groß-Lobke im Landkreis Hildesheim geboren. Sie hatten einen jüngeren Bruder, Friedel. Die Mutter Berta Köhler (geborene Meier) war eine ehemalige Kinderpflegerin und der Vater Willi Köhler ausgebildeter Schuhmachermeister. Die Zwillinge seien entwicklungsverzögert gewesen. Willi ging dennoch bis zur achten Klasse in die Schule, Herbert hingegen wurde nicht beschult.

Als fast 15-Jährige gehörten sie zu den wenigen Jugendlichen unter den Patientinnen und Patienten der »Kinderfachabteilung«. Sie wurden am 7. Juni 1943 durch Oberpflegerin Wolf in Haus 23 aufgenommen.
Die Initiative war von der Mutter ausgegangen. Sie wollte ihre Söhne überprüfen lassen, ob sie einer Arbeit nachgehen könnten. Herbert und Willi sollten unter Umständen in der Anstalt sogar einen Beruf erlernen. Außerdem ging sie auf Kur und benötigte eine Unterbringung für ihre Söhne, da der Vater der Kinder im Krieg gestorben war. Da keine Zweifel bestanden, dass die Aufnahme bewilligt werde, kündigte der Sachbearbeiter im gleichen Schreiben an, dass die Mutter Berta Köhler ihre Kinder am 7. Juni 1943 persönlich in die Anstalt bringen werde. Da man es offenbar sehr eilig hatte, die Kinder in der »Kinderfachabteilung« unterzubringen, hatte man sie sogar schon bei der Meldebehörde abgemeldet, einschließlich Abmeldung der Lebensmittelkarten.

Willi wurde zunächst in der Schneiderei und Schusterei eingesetzt, jedoch als »unbrauchbar zurückgebracht«. Herbert wurde in der Korbflechterei beschäftigt, allerdings ebenfalls als »unbrauchbar« beurteilt. Infolgedessen mussten beide fortan in der Feldkolonne arbeiten. Die Mutter war in großer Sorge um ihre Zwillinge, nachdem sie erfuhr, dass die Arbeitsversuche nicht erfolgversprechend waren.

In der Krankengeschichte von Herbert folgte trotz gesundheitlicher Angeschlagenheit für das restliche Jahr 1943 nur ein Eintrag. Da die Mutter in großer Sorge um ihre Zwillinge blieb, stattete sie beiden am 4. Januar 1944 einen Besuch ab. Der Besuch erschütterte Berta Köhler. Sie fand ihre Kinder trotz eisiger Kälte nackt im Bett auf. Zudem mussten die Kinder ab nachmittags Bettruhe halten und aßen dort auch ihr Abendessen. Daraufhin schrieb sie mehrere Beschwerdebriefe an den Ärztlichen Direktor und drohte damit, sogar den Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti einzuschalten. Berta schrieb auch an ihre Zwillinge einen Brief und machte ihnen Mut durchzuhalten, bis sie eine Lösung gefunden habe. Berta Köhlers Anschuldigungen wurden von Willi Baumert dementiert.

Nach ihren Meldungen und Beschwerden wurde Berta Köhler schikaniert. So wurde ihr eine Reise-Erlaubnis nach Lüneburg nur dann erteilt, wenn sie eine Bescheinigung der Anstalt vorbrachte, dass ihre Besuche gewünscht seien. Später verhinderte der Kriegsverlauf weitere Besuche. Herberts Gesundheitszustand verschlechterte sich unterdessen im Winter 1944/1945. Ende Januar 1945 wog der inzwischen 16-Jährige nur noch 28,5 kg. Er starb am 22. März 1945 offiziell an einer »Lungenentzündung«. Dies kann bezweifelt werden, zumal die Erkrankung erst einen Tag zuvor ausgebrochen sein soll. Herberts Zwillingsbruder Willi war während seines Siechtums bei ihm. Ihn traf der Tod seines Bruders hart. Berta Köhler erfuhr vom Tod ihres Sohnes erst einen Monat später. Sie beschloss daraufhin, Willi zu retten – mit Erfolg. Am 29. April 1945 holte sie in nach Hause. Er überlebte und starb am 12. Dezember 1988 in Bad Gandersheim.

HERBERT UND WILLI KÖHLER

Herbert und Willi Köhler sind Zwillinge.
Sie werden im Jahr 1928 geboren.
Sie haben noch einen jüngeren Bruder.
Ihre Eltern heißen Berta und Willi.

Die Zwillinge lernen langsam.
Willi geht nach Klasse acht nicht mehr zur Schule.
Herbert geht gar nicht zur Schule.

Im Jahr 1943 kommen sie in die Anstalt nach Lüneburg.
Sie kommen in die Kinder-Fach-Abteilung.
Da sind sie schon fast fünf-zehn Jahre alt.
Sie gehören zu den Großen.

Die Mutter findet den Aufenthalt gut.
Sie denkt:
Die Kinder-Fach-Abteilung hilft meinen Söhnen.
Dort können sie gefördert werden.
Sie lernen zu arbeiten.

Die Mutter möchte wissen:
Können meine Söhne einen Beruf lernen?

Willi arbeitet in der Schneiderei.
Danach arbeitet er in der Schusterei.
Aber er schafft die Arbeit nicht.

Herbert soll Körbe flechten.
Aber das schafft er auch nicht.
Dann arbeiten beide auf dem Feld.

Die Mutter macht sich Sorgen.
Sie wünscht sich eine gute Arbeit für ihre Söhne.
Eine Pflegerin und ein Arzt schreiben der Mutter.

Herbert geht es nicht gut in der Anstalt.
Aber es gibt nur einen Eintrag in Herberts Patienten-Akte.
Im ganzen Jahr 1943.

Die Mutter macht sich Sorgen.
Sie besucht ihre Kinder am 4. Januar 1944.
Es ist sehr kalt.
Aber die Kinder liegen nackt in den Betten.
Sie müssen schon ab dem Nachmittag nur im Bett liegen.
Im Bett essen sie auch ihr Abend-Essen.

Die Mutter beschwert sich bei der Anstalt.
Sie schreibt Briefe.
Die Mutter schreibt auch den Zwillingen einen Brief.
Sie möchte ihnen Mut machen.
Sie will sich um sie kümmern.

Der Arzt in der Kinder-Fach-Abteilung will nichts hören.
Er will keine Beschwerden.
Er sagt:
Das stimmt alles nicht.

Danach wird die Mutter schlecht behandelt.
Sie darf ihre Söhne kaum noch besuchen.
Nur wenn die Anstalt es erlaubt.
Später kann sie gar nicht mehr kommen.
Weil der Krieg immer schlimmer wird.

Herbert geht es immer schlechter.
Ende Januar 1945 wiegt er nur noch acht-und-zwanzig Kilo.
Dabei ist er schon sechzehn Jahre alt.
Er stirbt am 22. März 1945.
Die Anstalt sagt:
Es war eine Lungen-Entzündung.
Aber das ist eine Lüge.
Herbert ist verhungert.

Willi ist bei dem Tod von Herbert dabei.
Er bekommt mit wie es Herbert schlecht geht.
Dann stirbt Herbert.
Willi ist darüber sehr traurig.

Herbert ist einen Monat tot.
Erst dann schreibt die Anstalt ihr:

Herbert ist tot.
Berta ist geschockt.
Sie kann es nicht glauben.
Sie ist in Sorge um ihren zweiten Sohn.
Sie entscheidet:
Ich hole Willi nach Hause.

Das macht sie.
Sie holt Willi am 29. April 1945 nach Hause.
Willi über-lebt.
Er stirbt am 18. Dezember 1988.
In Bad Gandersheim.