
Auszug aus der Krankengeschichte von Gertrud Krebs.
NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 110.
GERTRUD KREBS (1935 – 1945)
Gertrud Krebs wurde in Celle geboren. Ihre Mutter war die Landarbeiterin Mathilde Krebs, ihr Vater Heinrich Beckmann aus Pinnau. Weil sie entwicklungsverzögert war, wurde Gertrud von der Pflegemutter des Kinderheims, in dem sie lebte, zurückgestellt und nicht eingeschult. Im Frühjahr 1942 entwickelte Gertrud einen Hautausschlag und kam zur Behandlung in das Kinderkrankenhaus in Lüneburg. Dort folgte man der Meldepflicht, sodass am 20. August 1942 ihre Aufnahme in die »Kinderfachabteilung« beantragt und sie am 2. Dezember 1942 in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg gebracht wurde.
Bei ihrer Aufnahme fiel sie durch ihr gutes Benehmen auf. Da sie in den folgenden vier Wochen keine Schwierigkeiten machte und sich unauffällig verhielt, regte Willi Baumert einen Schulbesuch an. Am 12. Januar 1943 wurde Gertrud nach Lemgo in die Einrichtung Eben-Ezer entlassen, um dort auf die Hilfsschule gehen zu können. In Eben-Ezer wurde sie jedoch als nicht schulfähig beurteilt, sodass sie ein Jahr später, am 27. Januar 1944 in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg zurückkam. Willi Baumert notierte bei ihrer Ankunft:
»Keine Schulfähigkeit. – Keine Schwierigkeiten sonst.«
Es war der letzte Eintrag, den Baumert in ihrer Krankengeschichte machte. Bemerkenswert ist eine Randnotiz von Max Bräuner: »Kein Besuch, keine Anfragen (Nov 44)«, am Seitenrand der Krankengeschichte. Gertrud konnte demzufolge weitgehend unbemerkt ermordet werden.
Nach dieser Randnotiz folgten vom 2. Dezember 1944 bis zu ihrem Tod nur noch Einträge der Pflegerin Wilhelmine Wolf. Der dokumentierte komplette Verfall und das langsame, elende Sterben wurden ganz offensichtlich in einem Zuge geschrieben, nachdem Gertrud bereits tot war.
Gertrud Krebs starb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 23. Februar 1945 infolge einer Überdosis Luminal. Die offizielle Todesursache lautete »Tuberkulose«. Die Entscheidung, Gertrud zu ermorden, steht möglicherweise in Zusammenhang mit einem Brief des Jugendamtes vom 21. November 1944, das am 2. Dezember beantwortet wurde. Nach ihrer Ermordung hatte sich die Nachfrage des Jugendamtes erledigt.
GERTRUD KREBS
Gertrud Krebs kommt aus Celle.
Sie lebt in einem Heim.
Sie geht nicht zur Schule.
Im Jahr 1942 hat Gertrud einen Haut-Ausschlag.
Darum kommt sie ins Kinder-Krankenhaus
nach Lüneburg.
Da stellt der Arzt fest:
Gertrud hat eine Behinderung.
Sie muss in die Kinder-Fachabteilung von der Anstalt in Lüneburg.
Der Arzt Willi Baumert untersucht Gertrud.
Er sagt:
Gertrud kann zur Schule gehen.
Darum schickt er sie nach Lemgo.
Dort gibt es eine Hilfsschule.
Das ist eine extra Schule
für Kinder mit Behinderungen.
Ein Jahr später kommt Gertrud zurück
in die Kinder-Fachabteilung.
Denn sie kann in der Schule nicht gut mitmachen.
Noch ein Jahr später wird Gertrud ermordet,
weil sie nicht zur Schule gehen kann.