
Amtsärztliches Gutachten vom 8.6.1942.
NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2012/064 Nr. 2566.

Ingeborgs Mutter beantragte die Beurlaubung ihrer Tochter, aber ohne Erfolg.

Urlaubsantrag von Frieda Wernitz vom 2.12.1942.
NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2012/064 Nr. 2566.
INGEBORG WERNITZ (1928 – 2014)
Ingeborg Wernitz wurde am 14. Dezember 1928 in Lüneburg geboren. Ihr Vater war der Glaser Franz Wernitz. Ihre Mutter war Frieda Wernitz (geb. Adam). Die Familie wohnte in der Oberen Schrangenstraße und Auf der Sülze. Ingeborg ging nicht zur Schule, da sie als »nicht beschulbar« von der Hilfsschule ausgeschlossen wurde. Zwei ihrer Geschwister besuchten die Hilfsschule. Insgesamt hatte sie vier Geschwister.
Am 4. Juni 1942 mussten die Eltern ihre Tochter Ingeborg in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg bringen. Sie lehnten Ingeborgs Aufnahme ab, da sie gehört hatten, dass dort viele Kinder sterben würden. Daraufhin wurde Ingeborg polizeilich eingewiesen.
Die Eltern bestanden darauf, ihre Tochter wieder mit nach Hause zu nehmen. Max Bräuner beantragte daraufhin die Sterilisation von Ingeborg Wernitz, da sie am Ende des Jahres mit 14 Jahren unter das» Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« fiel. Ihre Unfruchtbarmachung wurde zur Bedingung gemacht, um aus der »Kinderfachabteilung« nach Hause entlassen werden zu können.
Am 10. November 1942 beschloss das Erbgesundheitsgericht Lüneburg im Beisein ihrer Eltern die Unfruchtbarmachung von Ingeborg Wernitz. Am 21. Januar 1943 wurde sie von Richard Hölscher, dem ehemaligen Ärztlichen Direktor des Städtischen Krankenhauses Lüneburg, zwangssterilisiert. Man hatte ihn aus dem Ruhestand zurückgeholt.
Zeitgleich zu ihrer Entlassung aus dem Städtischen Krankenhaus wurde Ingeborg auch aus der »Kinderfachabteilung« Lüneburg entlassen.
Während ihres gesamten Aufenthaltes wurde sie sehr oft von ihrer Familie besucht. So war es Willi Baumert kaum möglich, Ingeborg zu ermorden.
Ingeborg Wernitz kehrte 1950 zurück in das Landeskrankenhaus, wie die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg inzwischen hieß. Nach zwölf Jahren wurde sie nach Himmelsthür verlegt und kehrte neun Monate später wieder zurück nach Lüneburg.
1989 zog sie in die Neuerkeröder Anstalt in Sickte. Dort starb sie am 6. Januar 2014.
INGEBORG WERNITZ
Ingeborg Wernitz kommt aus Lüneburg.
Ihr Vater ist Glaser.
Sie hat 4 Geschwister.
Ihre Familie lebt in der Altstadt.
Sie haben nicht viel Geld.
Sie ging zur Hilfs-Schule.
Das ist eine Schule für Kinder mit Behinderungen.
Aber der Lehrer sagt:
Sie ist zu dumm.
Sie soll nicht einmal auf eine Hilfs-Schule gehen.
Sie kommt in die Kinder-Fach-Abteilung.
Ihre Eltern sagen:
Nein.
Sie wissen:
Da werden Kinder ermordet.
Der Arzt sagt:
Inge darf gehen.
Aber nur, wenn sie sterilisiert wird.
Das passiert im Januar 1943.
Danach darf sie nach Hause.
Ingeborg wird oft besucht.
Das verhindert ihre Ermordung.
Der Arzt bekommt keine Gelegenheit.
Sie kommt erst 1950 wieder in die Anstalt.
Da gibt es keine Kinder-Fach-Abteilung mehr.
Und Ingeborg Wernitz ist eine junge Frau.
Sie ist 22 Jahre alt.
Sie bleibt bis 1989 in der Anstalt.
Zwischen-durch ist sie mal weg.
9 Monate ist sie in einer anderen Anstalt.
Aber sie kommt wieder zurück.
In die Anstalt nach Lüneburg.
Da bleibt sie.
Bis sie über 60 Jahre alt ist.
Dann zieht sie um nach Neuerkerode.
Da ist auch eine Anstalt.
Da stirbt sie 2014.
Sie wurde 85 Jahre alt.