
Die Geschwister von Hans Krischel, Sonja Krischel und Jörg Pfeifer, um 1949.


Brief der Bezirksregierung Düsseldorf an Jörg Pfeifer vom 24.8.2021.
Privatbesitz Jörg Pfeifer.
HANS KRISCHEL (1940 – 1944)
Hans Krischel stammte aus Derneburg, heute Holle bei Hildesheim. Seine Eltern waren Johann und Lydia Krischel (geb. Pfeifer). Am 9. Dezember 1939 heiratete Lydia den aus Wuppertal stammenden Kraftfahrer Johann Krischel. Nur vier Monate später wurde Hans geboren. Sein Vater Johann war zu diesem Zeitpunkt schon als Soldat im Kriegseinsatz. Er lernte seinen Sohn nie kennen.
Im Alter von zwei Jahren erkrankte »Hänschen«. Es hatte sich ein Tumor im Auge entwickelt, der in der Universitätsaugenklinik Göttingen entfernt werden musste. Sein krankes Auge war nicht zu retten und Hans trug ab dann eine Augenprothese. Als Folge des Tumors und der Operation bekam Hans bald Sprachstörungen und Anfälle. Im August 1943 beantragte der Amtsarzt des Gesundheitsamtes Hildesheim die Aufnahme in der »Kinderfachabteilung«. Am 25. September 1943 wurde Hans von seiner Mutter nach Lüneburg gebracht.
Unklarheiten über die Kostenübernahme beschleunigten Hänschens Ermordung. Weil die Mutter nicht bezahlen konnte und das Amt zunächst nicht bezahlen wollte, kam seine Tötung in Betracht. Hans Krischel wurde am 15. April 1944 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit dem Medikament Luminal ermordet.
Jörg Pfeifer erfuhr erst im Jahr 2021 von der Ermordung seines Halbbruders. Er beantragte bei der Regierungspräsidentin der Bezirksregierung Düsseldorf eine Entschädigung. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Die Begründung lautete, dass die Frist für die Beantragung einer solchen Entschädigung abgelaufen sei und er als Halbbruder eines »Euthanasie«-Opfers nicht als unmittelbar Betroffener eines NS-Verbrechens gelte.
HANS KRISCHEL
Hans Krischel kommt aus Derneburg.
Das ist bei Hildesheim.
Seine Mutter ist Lydia.
Sein Vater heißt Johann.
Er ist LKW-Fahrer.
Lydia nennt den gemeinsamen Sohn Hänschen.
Hänschen lernt seinen Vater nie kennen.
Im September 1939 bricht der Krieg aus.
Sein Vater wird Soldat.
Hänschen wird schwer krank.
Da ist er 2 Jahre alt.
Er hat einen Tumor im Auge.
Der Tumor wird operiert.
Dabei wird auch sein Auge rausgenommen.
Ab dann hat Hänschen ein Glas-Auge.
Er kann auch nicht mehr gut sprechen.
Und er bekommt plötzlich Anfälle.
Hänschen muss in eine Kinder-Fach-Abteilung.
Er kommt in die Anstalt nach Lüneburg.
Die Mutter kann die Pflege von Hänschen nicht bezahlen.
Dafür hat sie nicht genug Geld.
Das Amt bezahlt aber auch nicht.
Darum wird Hänschen ermordet.
Nach nur 6 Monaten.
Der Arzt Willi Baumert gibt ihm das Medikament Luminal.
Hänschen wird damit vergiftet.
Er stirbt am 15. April 1944.
2021 erfährt Jörg Pfeifer das erste Mal die Wahrheit.
Er hört was seinem Bruder Hänschen wirklich passiert ist.
Er hört:
Hänschen ist ein Opfer vom Kranken-Mord.
Hänschen wurde ermordet.
In der Lüneburger Kinder-Fach-Abteilung.
Jörg Pfeifer möchte zur Wieder-Gut-Machung eine Opfer-Zahlung.
Das bekommen Opfer aus der NS-Zeit.
Aber das Amt sagt in seinem Fall: Nein.
Es sagt:
Als Bruder bist du kein Opfer.
Der Verlust deines Bruders zählt nicht.
Außerdem ist es zu lange her.
Jörg Pfeifer hätte sich viel früher melden müssen.
Jetzt ist es für eine Wieder-Gut-Machung zu spät.
Dabei konnte sich Jörg Pfeifer gar nicht früher melden.
Er wusste ja von nichts.