
Schreiben (Entwurf) des Friedhofsamtes der Stadt Lüneburg an Jadwiga Cichon vom 4.7.1978.
StadtALg, VA2, 5001.
JON CICHON (1892 – 1945)
Jon wurde am 12. Juni 1892 in Polen geboren. Er sei Arbeiter gewesen. Der leitende Arzt der polnischen Krankenbaracke in Uelzen wies Jon Cichon am 5. April 1945 wegen »Akuter Geisteskrankheit« und »Verdacht auf progressive Paralyse« in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg ein. Jon Cichon wurde von zwei polnischen Begleitern in die Heil- und Pflegeanstalt gebracht.
Rudolf Redepenning, der aufnehmende Arzt, notierte, dass Jon keine »Progressive Paralyse« habe, sondern angeblich eine Verkümmerung des Gehirns. Er habe bei seiner Ankunft elend gewirkt, habe Läuse gehabt. Er sei zwar kräftig gebaut, aber mager gewesen. Das Wort »mager« unterstrich Redepenning doppelt. Bei einer Körpergröße von 175 cm wog er 65 kg.
Jon Cichon kam ins Haus 15 in die »Ostarbeiter-Abteilung«. Vier Tage nach seiner Aufnahme versuchte Redepenning ein Gespräch mit ihm mit Hilfe eines Sprachmittlers. Er reagierte jedoch auf keine Ansprache. Am 2. Mai schrieb Redepenning in die Krankengeschichte, dass Jon Cichon bettlägerig blieb. Drei Tage später folgte der Eintrag, dass er gestorben sei – ohne irgendwelche verdächtigen Krankheitszeichen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er verhungert.
Keiner informiert seine Familie. Erst 1978 bekommt seine Ehefrau die Nachricht, wo sein Grab gewesen war. Drei Jahre zuvor war es aufgelöst worden.
JON CICHON
Jon Cichon kommt aus Polen.
Er ist Zwangs-Arbeiter in Uelzen.
Er wird krank.
Der Lager-Arzt weist ihn ein.
In die Anstalt nach Lüneburg.
Er kommt mit 2 Polen.
Sie helfen beim Übersetzen.
Rudolf Redepenning ist Arzt.
Auf der Ostarbeiter-Station in Haus 15.
Er untersucht Jon Cichon.
Er denkt:
Das Gehirn von Jon Cichon ist krank.
Er stellt fest:
Jon Cichon ist sehr dünn.
Er ist mager.
4 Tage nach der Ankunft versucht der Arzt ein 2. Gespräch.
Jon Cichon kann nicht antworten.
Es geht ihm schlecht.
Einen Monat später ist er tot.
Er hat nicht genug zu essen bekommen.
Er ist verhungert.
Das ist am 5. Mai 1945.
Die Ehefrau erfährt davon nichts.
30 Jahre später findet sie heraus:
Ihr Mann ist in Lüneburg gestorben.
Sie fragt das Friedhofs-Amt:
Wo ist das Grab von meinem Mann?
Sie bekommt eine Antwort.
Aber es ist eine traurige:
Es gibt kein Grab mehr.
Es wurde aufgelöst.
Das ist im Jahr 1978.