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WER MACHTE MIT?

»Zentraldienststelle« (»Zentrale«) in der Villa in der Tiergartenstraße 4, um 1935.

Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (01) Nr. 0152461 | Fotograf Walter Köster.

In Berlin wurde ein Amt (»Zentraldienststelle« oder »Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten«) geschaffen, das den Krankenmord verwaltete. Es hatte seinen Sitz in der Tiergartenstraße 4. Dort kamen alle Meldebögen an und wurden an 40 Gutachter weitergeleitet. Sie entschieden nur anhand dieser Unterlagen, ob ein Mensch mit Gas ermordet werden sollte oder nicht. Falls ja, machten sie ein rotes Pluszeichen, falls nein, machten sie ein blaues Minuszeichen auf den Bogen.

Die Obergutachter waren Werner Heyde, Paul Nitsche und Herbert Linden. Infolge ihrer Entscheidungen wurden insgesamt etwa 100.000 Menschen ermordet. Der Gas-Mord an Erkrankten wurde nach der Adresse der »Zentrale« als »Aktion T4« bezeichnet. Der Gas-Mord an KZ-Häftlingen in drei Tötungsanstalten hieß »Sonderbehandlung 14f13«.

Paul Nitsche, um 1930.

Sächsisches Staatsarchiv, 13859 Staatskanzlei, 6081.

Das ist ein schwarz-weißes Foto von Hans Hefelmann. Er sitzt in entspannter Haltung auf einer Bank und stützt die Ellenbogen auf die Oberschenkel. Er trägt einen hellen Anzug und eine gemusterte Krawatte. Seine Beine sind weit nach vorne geöffnet und er trägt glänzende Lederschuhe. Er blickt mit entspanntem Blick in Richtung der Kamera.

Hans Hefelmann, um 1954.

Aus: Andreas Kinast: »Das Kind ist nicht abrichtfähig«. »Euthanasie« in der Kinderfachabteilung Waldniel 1941 – 1943, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 52.

Für die Umsetzung der »Kinder-Euthanasie« wurde im Mai 1939 ein »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« (»Reichsausschuss«) geplant. Es war eine Tarnorganisation. Zur Planungsgruppe gehörten Karl Brandt, Philipp Bouhler und Werner Catel. Außerdem gehörten Herbert Linden, Hans Hefelmann und drei beratende Ärzte (Hellmuth Unger, Hans Heinze und Ernst Wentzler) dazu.

Hans Heinze, Werner Catel und Ernst Wentzler erklärten sich bereit, Gutachter im »Reichsausschuss« zu sein. Sie bewerteten die Kinder und Jugendliche danach, ob sie für die »Kinder-Euthanasie« infrage kamen. Durch ihre Entscheidungen kam es zu Zwangseinweisungen in »Kinderfachabteilungen« und Tötungen, abhängig von einer angeblich festgestellten »Bildungs- und Entwicklungsunfähigkeit«. Der »Reichsausschuss« unterstand der Kanzlei des Führers.

Das ist vergilbtes Foto eines mittelalten Ernst Wentzlers bei der körperlichen Untersuchung eines Kindes. Das Kind sitzt frontal zur Kamera nackt auf einer erhöhten Liege. Die Füße des Kindes scheinen nach innen ausgerichtet zu sein. Ernst Wentzler hockt seitlich neben dem Kind. Eine Hand hält das Knie des Kindes fest, die andere bewegt dessen Fuß. Ernst Wentzler trägt einen weißen Arztkittel mit Stethoskop um den Hals. Er ist leicht zu den Füßen den Kindes geneigt. Das Kind weint.

Ernst Wentzler, nach 1945.

Kopie ArEGL. | World War II Museum New Orleans.

Es ist ein schwarz-weißes Luftbild. Die Aufnahme zeigt den Straßenzug Bardowicker Straße Ecke Lüner Straße in Lüneburg. Es zeigt den Anbau des Gerichtes. Es ist ein langgezogenes dreigeschossiges Gebäude mit einem spitzen Giebeldach. Das Dach hat sechs Gauben mit Sprossenfenstern, eines steht offen. Es stehen noch weitere Fenster offen, die Sonne scheint. Vor dem Gebäude läuft ein Pärchen in Richtung Marktplatz. Der Mann trägt einen Hut und die Frau im kurzärmeligen Kleid schiebt einen weißen Kinderwagen vor sich. Ihnen folgt in etwas größerem Abstand ein weiterer Mann in dunklem Anzug. An der Hausecke Lüner Straße vor dem Kolonialwarengeschäft steht eine Frau mit einem Fahrrad umringt von Kinder. Eine Frau im dunklen Kleid passiert die Straße.

Land- und Amtsgericht Lüneburg sowie Sitz des Gesundheitsamtes Lüneburg, 1943/1944.

StadtALg BS-45027.

Jedes Verfahren wurde von einem Richter und zwei ärztlichen Beisitzern geführt. Dies waren je ein Amtsrichter (Stölting, Börner, Jahn, Severin oder van Leesen), ein niedergelassener Arzt (Dressler, Vosgerau, Bergmann oder Cropp) und ein verbeamteter Arzt (Bräuner, Rohlfing oder Sander). Gutachter und Beisitzer durften nicht dieselbe Person sein. Die Entscheidungen wurden im Gericht oder in der Anstalt getroffen. Sie folgten den Empfehlungen des Gesundheitsamtes. Weil dieses 1943 in den Anbau zog, in dem sich bereits das Erbgesundheitsgericht befand, waren die Wege kurz.

HANS ROHLFING (1890 – 1977)

Es ist eine Papierseite mit einer eng geschriebenen Maschinenschrift. Auf der Seite ist links ein breiter Rand gelassen, der Text geht bis an den rechten Seitenrand. Mit rotem Stift ist unterstrichen, dass verbeamtete Ärztinnen und Ärzte im Mittelpunkt der erbbiologischen Maßnahmen stünden, auch das Wort »Mithelfer« ist unterstrichen. Es gibt Rostabdrücke von Büroklammern.
Es ist ein DIN A5-Papier im Querformat. Das Papier ist hellbraun und wurde mit einer Schreibmaschine getippt. Die Ernennung ist unterzeichnet mit »Der Führer«. Auch steht geschrieben, dass die Urkunde im Führerhauptquartier ausgestellt wurde.
Es ist ein schmales, DIN A6-Heft, geklammert. Der Umschlag ist mit dem Gesetzestitel, dem Titel der Ausführungsverordnung, dem Verlag und den jeweiligen Erscheinungsdaten bedruckt. Es wurden ausschließlich altdeutsche Schriftzeichen verwendet. Im Heft befinden sich an ausgewählten Stellen handschriftliche Unterstreichungen, Hervorhebungen und Notizen, die mit einem Bleistift von Max Bräuner vorgenommen wurden.

EDZARD STÖLTING (1885 – 1960)

Es ist ein schwarz-weißes Porträtfoto von Edzard Stölting im mittleren Alter. Er trägt seine Haare gescheitelt und eine runde Nickelbrille. Er hat ein Jackett an mit einem weißen Hemd und einer Krawatte. Er blickt ernst mit heruntergezogenen Mundwinkeln in die Kamera.
Es ist ein Formular. Es besteht aus einer Tabelle, in die in der ersten Spalte Beurteilungen Der Landgerichtspräsidenten und Oberstaatsanwaltschaften, in der zweiten Spalte Beurteilungen des Oberlandesgerichtspräsidenten und der Generalstaatsanwaltschaft und in der dritten Spalte besondere Bemerkungen eingetragen werden können. Das Formular ist in jeder spalte ausgefüllt. Unter besonderen Bemerkungen sind besondere Sprachkenntnisse und Auslandsaufenthalte vermerkt. In der ersten Spalte ist mit einem dunkelblauen Bleistift unterstrichen, dass er seit Jahren nationalsozialistisch sei, in der zweiten Spalte ist mit gleichem Stift unterstrichen, dass er sich als Aufsichtsrichter eigne, da er nicht mehr als befriedigend arbeite.
Es ist eine hauchdünne Papierseite mit Maschinenschrift bedruckt. Der Text der Rückseite scheint durch. Der Text ist in Englisch. Er ist in enger Maschinenschrift getippt. Handschriftlich sind an wenigen Stellen Rechtschreibkorrekturen.

Hilfsschulen, Schulen, kirchliche und privat getragene Heime sowie Kinderkrankenhäuser meldeten Kinder und Jugendliche für eine Einweisung in eine Anstalt oder direkt in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg. Sie trugen daher Mitverantwortung für die Verbrechen, die sich ihrer Auswahl und Meldung ihrer Schützlinge anschloss. Die Einrichtungsleitungen prägten den Umgang mit Menschen mit Behinderungen bis weit in die Nachkriegszeit, insbesondere im Bereich der Sonder- und Heilpädagogik.

Die Bewertung der Hilfsschule über Helmut Quast führte zu seiner Zwangseinweisung in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission. Drei Jahre später wurde er in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg ermordet.

Es ist ein Beurteilungsbogen als Formular. Im oberen Drittel sind Angaben zur Person zu machen, etwa seit wann die Person in der Hilfsschule der Rotenburger Anstalten und wo die Person vorher gewesen sei. Auch eine Intelligenzprüfung wird abgefragt. Im den unteren zwei Drittel der Seite ist ein Feld für eine Beurteilung. Der Bogen ist handschriftlich ausgefüllt. Es gibt fünf Eintragungen, die in einem Abstand von mehreren Monaten angefertigt wurden. Es ist immer die gleiche Pflegerin, die die Eintragungen macht.

Beurteilungen von Helmut Quast, 1938/1939.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 355.

GUSTAV MARX (1909 – 1973)

Es ist ein schwarz-weißes Foto der noch jung wirkenden Brüder Marx. Beide stehen auf einer Grünfläche mit Palmen vor einem Gebäude der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Es ist im Hintergrund zu erkennen. Gustav Marx trägt ein kariertes Hemd, eine Knickerbocker mit Strümpfen und ein Jackett in hellem Wollstoff. Sein Bruder steht links neben ihm. Er trägt eine Reiterkluft mit Stiefeln, ausgestellter Hose und dunklem Jackett. Beide stehen in lässiger Haltung. Sie blicken ernst.
Es ist vergilbtes Papier. Es zeigt den Reichsadler, der einen Kranz aus Eichenblättern in den Klauen hat, in dessen Mitte ein Hakenkreuz ist. Darunter steht in großen Buchstaben: Im Namen des deutschen Volkes verleihe ich. Es folgt in Maschinenschrift geschrieben: dem Provinzialobermedizinalrat Dr. med. Gustav Marx in Lüneburg. Es folgt in großen Buchstaben: Das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse. Berlin. Es folgt in Maschinenschrift: 30. Januar 1943. Es folgt in großen Buchstaben: Der Führer. Darunter befindet sich in Tinte die Unterschrift von Adolf Hitler. Unten rechts am Blattrand steht eine zweite Unterschrift: O. Meissner. Es ist die Unterschrift des Staatssekretärs in der Präsidialkanzlei. Das Papier trägt unten links eine Prägung. Es ist das Emblem mit Reichadler, Eichenkranz und Hakenkreuz.