NFC zu H-K-05

HANDLUNGSSPIELRÄUME

Der Brief ist gelocht. Er ist mit Schreibmaschine geschrieben. Die Schrift ist teilweise verblasst und schwer lesbar. Ein Satz ist mit rotem Stift unterstrichen. Ein weiterer Satz ist mit schwarzem Stift am Rand markiert. In dem markierten Satz sind die Worte »kriminell Geisteskranken« in schwarz unterstrichen.

Brief vom Oberpräsidenten der Provinz Hannover Georg Andreae an das Reichsministerium des Innern vom 11.7.1940.

NLA Hannover Hann. 155 Göttingen Acc. 58/83 Nr. 10.

Georg Andreae von der Provinzialverwaltung Hannover reiste nach Berlin, um die Meldung der Erkrankten hinauszuzögern. Dort setzte er durch, dass einzelne Erkrankte von einer Verlegung in eine Tötungsanstalt zurückgestellt werden konnten. Er wollte auch erreichen, dass die Bewertung der »Nützlichkeit« sehr weit ausgelegt würde. Damit hatte er jedoch keinen Erfolg. Er ließ sich davon überzeugen, dass es einen Führerbefehl gebe und nutzte seinen Spielraum nicht, möglichst viele Menschen zurückzustellen.

Als Fachmänner wussten Georg Andreae, Ludwig Geßner und Gottfried Ewald, dass es sich bei der »Euthanasie« um geplanten Mord handelte. Sie waren dagegen. Ihrer Meinung nach sollten Menschen mit Behinderungen nicht ermordet werden, stattdessen nur das Allernötigste an Pflege und Fürsorge erhalten. Gemeinsam verfassten sie eine Denkschrift an Reichsinnenminister Wilhelm Frick gegen die »Euthanasie«. Diese hatte jedoch keine Wirkung.

Es handelt sich um eine Kopie des Dokuments. Sie ist hell. Das Dokument ist mit der Schreibmaschine eng beschrieben. An einigen Stellen sind Wörter korrigiert worden. Einige Absätze sind mit rotem Stift markiert und mehrere Sätze sind mit rotem Stift unterstrichen.

Auszug aus der Mitschrift der staatsanwaltlichen Vernehmung von Georg Andreae vom 11.5.1948.

NLA Hannover Nds. 721 Hannover Acc. 61/81 Nr. 28/1.

GEORG ANDREAE (1888 – 1983)

Es handelt sich um eine Kopie des Dokuments. Sie ist hell. Das Dokument ist mit der Schreibmaschine eng beschrieben. An einigen Stellen sind Wörter korrigiert worden. In der ersten Zeile des Textes sind die Worte »Dr. Andreae« mit rotem Stift unterstrichen.

Aufgrund ihrer Erfahrungen in der Pflege von Kindern und Jugendlichen übernahm Oberpflegerin Marie Jürgen (1891 – 1994) die Leitung der »Kinderfachabteilung« Lüneburg. Kurz darauf trat sie einen Urlaub an. Als sie nach zwei Wochen zurückkam, nutzte Max Bräuner seinen Handlungsspielraum und ersetzte sie durch Wilhelmine Wolf, von der er sich die erforderliche Entschlossenheit und Gesinnung versprach.

Auszug aus der Vernehmung von Marie Jürgen vom 25.4.1949.

NLA Hannover Nds. 721 Lüneburg Acc. 8/98 Nr. 3.

Der Brief ist vergilbt. Er ist in der rechten oberen und der rechten unteren Ecke beschädigt. Er ist mit der Schreibmaschine geschrieben, auch Ingeborg Webers Unterschrift. Unter dem Brief steht die Antwort von Direktor Grimme. Sie ist ebenfalls komplett mit der Schreibmaschine geschrieben. Einige Sätze im Brief und der Antwort sind mit rotem Stift unterstrichen.

Brief von Ingeborg Weber an die Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim, Direktor Grimme, vom 10.11.1941.

NLA Hannover Nds. 721 Lüneburg Acc. 8/98 Nr. 3.

Ingeborg Weber war ihrer Abordnung nach Lüneburg nur widerwillig gefolgt. Sie war Berufsanfängerin und hatte ihre Ausbildung erst im Juni 1941 abgeschlossen. Als sie verstand, dass ihre »besondere Verwendung« Kindermord bedeutete, bat sie um ihre Rückversetzung nach Hildesheim. Diese wurde abgelehnt, stattdessen wurde sie endgültig nach Lüneburg versetzt. Als Max Bräuner auch einen Urlaubsantrag ablehnte und sie in Lüneburg bleiben musste, war sie so verzweifelt, dass sie sich 1942 das Leben nahm.

HANDLUNGSSPIELRÄUME

Das Bild zeigt Herta Braun bis zur Brust. Sie trägt einen großen dunklen Mantel. Die Haare sind gescheitelt nach hinten gebunden. Mit geschlossenem Mund guckt Hertha Braun in die Kamera.

Herta Braun, 1924.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 03270.

Das Bild zeigt Paula Jahn bis zur Brust. Sie trägt ein gemustertes Oberteil mit Schleife über der Brust. Die Haare sind gescheitelt nach hinten gesteckt. Ihr Kopf ist leicht nach unten geneigt. Mit geschlossenem Mund guckt Hertha Braun in die Kamera.

Paula Jahn, 1937.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 01135.

Das Bild zeigt Karl Reich sitzend auf einem Stuhl. Er sitzt vor einer großen hellen Wand. Er trägt einen dunklen Anzug mit Weste und hellem Hemd. Die Kette einer Taschenuhr ist sichtbar. Er hat kurze Haare und blickt mit leicht geöffnetem Mund Richtung Kamera. Seine Hände sind im Schoß gefaltet.

Karl Reich, um 1922.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/066 Nr. 08339.

Das Bild zeigt Heinrich Brandt sitzend auf einem Stuhl. Er ist von den Knien aufwärts zu sehen. Er sitzt vor einer großen hellen Wand. Er trägt einen dunklen Anzug mit Weste und hellem Hemd. Er hat kurze, etwas lichte Haare und einen Schnurrbart. Er blickt mit leicht geöffnetem Mund Richtung Kamera. Seine Hände liegen im Schoß.

Heinrich Brandt, um 1914.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/066 Nr. 07628.

Nur einzelne Erkrankte wurden von der Zwischenanstalt Herborn nicht in die »T4«-Tötungsanstalt Hadamar weiterverlegt. Zwei Frauen wurden von Herborn zurück nach Lüneburg gebracht. Zwei Männern gelang es, in der Tötungsanstalt Hadamar von der Gaskammer zurückgestellt zu werden. Sie wurden auf dem anstaltseigenen Bauernhof Schnepfenhausen als Arbeitskräfte gebraucht. Diese vier Erkrankten überlebten.

HEINRICH BRANDT (1882 – 1957)

Das Dokument ist leicht vergilbt und gelocht. Am oberen Rand sind einige Flecken zu sehen. Eine Tabelle mit zwei dünnen Spalten und einer dicken Spalte ist vorgedruckt. Die beiden dünnen Spalten sind mit Monat und Tag überschrieben. Verschiedene Monate und Tage sind handschriftlich eingetragen. Neben den einzelnen Daten sind in der dicken Spalte daneben jeweils schwer lesbare handschriftliche Bemerkungen über Heinrich Brandt eingetragen. Oben rechts über der Tabelle steht sein Name.

Es ist anzunehmen, dass Heinrich Brandt erahnte, was ihm und seinen Mitpatienten drohte. Nach seiner Rückstellung von der Gaskammer verhielt er sich wie erwünscht, geradezu überangepasst. Das rettete ihm das Leben. 1942 unterstützte er Hedwig Siebert beim Betrieb ihres Kinos. 1945 setzte sie sich vehement für seine Entlassung ein. Am 11. Februar 1946 durfte er gehen. Später zog er zurück in seine Heimat und starb am 2. Dezember 1957 in Bornberg.

Der Brief ist leicht vergilbt und gelocht. Oben links ist der Briefkopf vorgedruckt. Er enthält den Namen und die Adresse des Kinos sowie den Namen von Hedwig Siebert. In der Adresse ist der Straßenname »Horst-Wessel-Strasse« durchgestrichen. Daneben steht handschriftlich der neue Name der Straße. Der Brief ist handschriftlich mit dunkler Tinte geschrieben und unterschrieben.
Auf der Rückseite steht die Antwort aus der Heil- und Pflegeanstalt Hadamar. Sie ist mit Bleistift geschrieben und schwer lesbar.

Brief von Hedwig Siebert mit Rückantwort an die Heil- und Pflegeanstalt Hadamar vom 11.8.1945.

Archiv Gedenkstätte Hadamar. Best. 12/K2978.

DOROTHEA KALIWE (GEB. GRIESBACH) (1890 – 1967)

Das Foto ist sepiafarben und insgesamt recht dunkel. Dorothea Kaliwe hält ein Baby in den Armen. Das Baby trägt einen hellen Strampler und blickt aufmerksam zu Dorothea auf. Dorothea trägt dunkle Kleidung und blickt lächelnd auf das Baby herab. Rechts neben den beiden steht Dorotheas Tochter Ursula. Sie trägt einen Damenhut und einen dunklen Mantel mit einem Halstuch. Sie blickt lächelnd auf das Baby herab.
Es ist ein Schwarz-Weiß-Foto. Ursula und Theo Zobel stehen im Freien vor einem hüfthohen Holzzaun. Dahinter befinden sich Bäume und vielleicht ein Gewässer. Beide sind etwa von der Hüfte aufwärts zu sehen. Ursula trägt eine helle, kurzärmelige Bluse und einen dunklen Rock. Ihre Haare sind dunkel und eher kurzgeschnitten. Ihre Arme sind hinter dem Rücken verschränkt. Sie steht ein wenig zur Seite gedreht ihrem Ehemann zugewandt. Sie blickt mit einem leichten Lächeln nach rechts aus dem Bild heraus. Theo steht ein wenig nach links gedreht Ursula zugewandt. Er trägt eine dunkle Uniform und hat die Arme ebenfalls hinter dem Rücken verschränkt. Sein Haar ist kurzgeschnitten und ordentlich gekämmt. Er sieht mit freundlichem Blick direkt in die Kamera.
Das Dokument ist gelocht und weist einige kleinere Flecken auf. Eine Tabelle mit zwei dünnen Spalten und einer dicken Spalte ist vorgedruckt. Die beiden dünnen Spalten sind mit Monat und Tag überschrieben. In der dicken Spalte daneben sind mit blauer Tinte schwer lesbare handschriftliche Bemerkungen über Käte eingetragen.

Auszug aus der Krankengeschichte von Käte.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 02912.

Die nach Eben-Ezer verlegten Kinder mussten im schulfähigen Alter sein. Jüngere und ältere Kinder hatten keine Chance, auf diese Weise zu entkommen – mit einer Ausnahme: Erika (1940 geboren) wurde nach Eben-Ezer verlegt, obwohl sie erst vier Jahre alt war. Willi Baumert entschied, dass sie nicht von ihrer älteren Schwester Käte (geboren 1938) getrennt werden sollte. So überlebten beide Schwestern die »Kinderfachabteilung« Lüneburg.

Frieda Neumann konnte nicht gerettet werden. Obwohl ihr Vater alles versuchte, um sie in Bethel unterzubringen, wurde sie von Willi Baumert ermordet.

Das ist ein Schwarz-Weiß-Foto. Hilda sitzt in einem Korbstuhl in einem Garten. Sie trägt ein dunkles Kleid und lange geflochtene Zöpfe. Nach rechts angelehnt blickt sie in die Kamera. Auf ihrem Schoß sitzt seitlich Frieda. Frieda trägt ein helles kurzärmeliges Kleid und hält eine Hand von Hilda. Frieda guckt nach links aus dem Bild heraus.

Frieda Neumann auf dem Schoß ihrer älteren Halbschwester Hilda Janssen, vermutlich an Hildas 17. Geburtstag am 4.5.1931.

Privatbesitz Familie Alpha.

Urlaubsantrag von Frieda Wernitz vom 2.12.1942.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2012/064 Nr. 2566.

Manche Eltern nahmen sogar die Sterilisation ihres Kindes in Kauf, damit es aus der »Kinderfachabteilung« entlassen werden konnte. Das taten auch die Eltern der Lüneburgerin Ingeborg Wernitz.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2012/064 Nr. 2566.

Ingeborg Wernitz wurde am 21. Januar 1943 im Alter von 14 Jahren sterilisiert und danach, am 26. Februar 1943, aus der »Kinderfachabteilung« entlassen.