NFC zu E-K-01

ENTSCHEIDENDE EREIGNISSE

Es ist ein schwarz-weißes Foto. Es hat eine helle Umrandung. Auf dem Foto sitzen Carrie Buck und Ihre Mutter. Carrie sitzt links. Sie hat kinnlange dunkle Haare. Ihre Mutter hat ihre ergrauten Haare hochgesteckt. Beide Frauen tragen helle langärmelige Kleider. Sie sitzen auf einer Parkbank und blicken ernst in die Kamera. Die Mutter hat ihre Hand auf die Schulter ihrer Tochter Carrie gelegt. Im Hintergrund sind Bäume, eine Hecke und eine Straße erkennbar.

Carrie und Emma Buck in der »Virginia-Kolonie für Epileptiker und Schwachsinnige« vor dem Prozess Buck gegen Bell in Virginia, November 1924. Fotograf Arthur Howard Estabrook.

Archiv University at Albany, State University New York.

Bis 1933 gab es Sterilisationsgesetze in 30 US-Bundesstaaten. Ab 1927 entschied der Oberste Gerichtshof der USA, dass Unfruchtbarmachungen auch gegen den Willen Betroffener durchgeführt werden dürfen. Im entscheidenden Fall ging es um die Amerikanerin Carrie Buck, die sich vor Gericht erfolglos gegen ihre Sterilisation wehrte. Danach konnte im Prinzip jeder gegen seinen Willen unfruchtbar gemacht werden.

Bereits Anfang der 30er-Jahre wurde aktive Sterbehilfe weltweit von Ärzt*innen als »Erlösung« von einer schweren, unheilbaren Erkrankung unterstützt. In Dänemark und in der Tschechoslowakei war der »schmerzlose Todesschlaf« bereits straffrei. In den USA forderten Ärzt*innen ein Gesetz, das die »Tötung aus Mitleid« straffrei machte. Dies nahmen sich die Nationalsozialisten als Beispiel.

Es ist eine gedruckte Seite aus einer Zeitschrift. Der Text ist zweispaltig und in Englisch.

Auszug aus W.W. Gregg: The Right to Kill. North American Review Nr. 237, 1934, S. 242.

Es ist ein schwarzes-weißes Portraitfoto von Werner Catel. Er trägt eine weißen Arztkittel mit dunkler Krawatte. Seine Haare sind kurzgeschnitten. Er blickt in die Kamera. Sein Blick ist ernst.

Werner Catel, Universitätsklinik Leipzig, etwa 1931.

Kopie ArEGL.

Das erste Kind, das wegen einer Beeinträchtigung Opfer der »Euthanasie« wurde, starb am 25. Juli 1939 im Alter von fünf Monaten. Der Säugling hatte eine körperliche Fehlentwicklung und war sehbeeinträchtigt. Der Vater bat deshalb um Gewährung eines »Gnadentodes«. Karl Brandt, Hitlers Arzt, untersuchte das am 20. Februar 1939 in Pomßen geborene Kind. Danach wurde es in der Universitätskinderklinik Leipzig unter ärztlicher Leitung von Werner Catel ermordet.

Im Herbst 1939 führte das »Sonderkommando Lange« im Auftrag der Sicherheitspolizei im Konzentrationslager Posen im Fort VII sowie in einem Gaswagen unter Leitung des Kriminaltechnischen Instituts Berlin erste Tötungen mit Gas durch. Hierbei wurden etwa 1.200 Erkrankte aus den Heil- und Pflegeanstalten Treskau-Owińsk, Posen und Tiegenhof mit Kohlenmonoxid ermordet. Am 12. oder 13. Dezember 1939 entschied Heinrich Himmler, diese Methode beim Krankenmord im Deutschen Reich einzusetzen.

Es ist ein schwarz-weißes Gruppenfoto. Es zeigt sieben Männer in Wehrmachtsuniform, die vor einer Hausfassade, von der der Putz abgeplatzt ist, sitzen und Bier trinken. Hinter ihnen in zweiter Reihe, ebenfalls Bier trinkend, stehen drei Männer. Drei haben die Bierflasche am Mund angesetzt als das Foto entsteht. Die Männer tragen zivile Kleidung, Hemden mit Jacke, Pullover, Pullunder. Die Männer sind jung und mittleren Alters. Es zeigt sie nach der Ermordung von Jüdinnen und Juden mit Gaswagen in Kulmhof.

Gruppenfoto vom »Sonderkommando Lange«. Es ermordete Tausende polnische Erkrankte, später auch Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma im Vernichtungslager Kulmhof.

Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Es ist eine Seit eines vergilbten Briefes. Der Brief ist auf dem Briefpapier des höheren SS- und Polizeiführers beim Reichsstatthalter in Posen im Wehrkreis 11. Der Brief ist an den SS-Gruppenführer Nordost Sporrenberg adressiert. Der Brief ist eng mit Schreibmaschine geschrieben. Auf gibt es einen Stempel mit dem Schriftzug »Geheime Reichssache!«

Auszug aus dem Schreiben des Höheren SS- und Polizeiführers beim Reichsstatthalter in Posen, Jakob Sporrenberg, an den Höheren SS- und Polizeiführer Nordost, 18.10.1940.

BArch NS 19/2576.

Die Durchführung des Krankenmordes im Warthegau mit »Zentralstelle« und »Sonderstandesamt« unter Gauleiter Arthur Greiser wurde zum Vorbild für die »Aktion T4«. Im Warthegau, in Danzig, Ostpreußen und Pommern wurden die Krankenmorde nach den Probevergasungen fortgeführt. Neben dem »Sonderkommando Lange« wurde als zweites das »Sonderkommando Eimann« eingesetzt. Alle Beteiligten erhielten ein Kopfgeld von zehn Reichsmark. Viele wurden später in Vernichtungslagern eingesetzt.

Es ist eine Papierseite mit einem Reichsadler und einem Hakenkreuz sowie dem Schriftzug Adolf Hitler links oben auf der Seite. Es ist das private Briefpapier von Adolf Hitler. Der Text besteht nur aus einem Absatz und ist mit einer Schreibmaschine getippt. Er ist handschriftlich von Adolf Hitler unterzeichnet. Under der Unterschrift ist eine handschriftliche Notiz von Gürtner. Sie lautet: »Von Bouhler mir übergeben am 29.8.1940. Dr. Gürtner.«

ENTSCHEIDENDE RECHTE UND PFLICHTEN

Im Nationalsozialismus wurden neue Pflichten eingeführt und alte Rechte abgeschafft. Diese neuen Gesetze und Anordnungen wurden zur Entscheidungsgrundlage. Hierdurch wurden Verbrechen legal. Die Anwendung dieser Regelwerke ging mit der Entscheidung einher, welches Leben als lebenswert eingestuft wurde.

Neue Regeln in der Nazi-Zeit

In der Nazi-Zeit gibt es neue Regeln
in Deutschland.
Viele Regeln sind schlecht.
Denn die Regeln erlauben
Verbrechen und Gewalt.
Die Menschen haben in der Nazi-Zeit weniger Rechte.
Die Nazis können zum Beispiel entscheiden:
Welche Menschen dürfen leben und
welche Menschen dürfen nicht leben.

Das Protokoll aus der Sitzung ist auf vergilbtem Papier. Es ist die erste von zwei Seiten. Das Papier ist eng mit Schreibmaschine beschrieben. Mit Bleistift wurde hinzugefügt, dass es ein ganzer Auszug aus dem Protokoll ist. Die wiedergegebenen Personen sind unterstrichen, es handelt sich nur um den Reichkanzler, seinen Stellvertreter und den Innenminister.

Auszug aus der Mitschrift zu TOP 18 der Sitzung vom 14.7.1933 über den Beschluss des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«.

BABArch R 43-II/720.

Das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« wurde am 14. Juli 1933 verabschiedet und trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Es regelte die Zwangssterilisation. Nur einer widersprach dem Gesetzentwurf in der entscheidenden Sitzung: Vizekanzler Franz von Papen forderte, die Unfruchtbarmachung möge freiwillig bleiben. Adolf Hitler setzte sich darüber hinweg und ordnete an, dass das Gesetz wie von Arthur Gütt, Ernst Rüdin und Falk Ruttke vorgeschlagen, beschlossen wird.

Oft waren Frauen schwanger, wenn sie sterilisiert werden sollten. 1935 wurde das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« erweitert. Nun regelte es auch den unfreiwilligen Schwangerschaftsabbruch ab dem 6. Schwangerschaftsmonat. 1936 wurde auch »Sozialer Schwachsinn« als weiterer Grund für eine Sterilisation aufgenommen.

Es ist die erste Seite eines vergilbten Dokumentes mit dem Gesetzesentwurf. Das Papier ist eng mit Schreibmaschine beschrieben.

Auszug aus dem Entwurf des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 26.6.1935.

BArch R 43-II/720.

Es ist eine Papierseite aus einem Gesetzesblatt. Die Seite ist vergilbt, der Text ist zweispaltig. Die 7. Verordnung ist unterzeichnet von Leonard Conti. Die untere Hälfte der Seite ist durchgestrichen.

7. Verordnung des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 14.11.1944.

BArch R 43-II/722.

Nach dem Ausruf des totalen Krieges sollte nur noch im Notfall über Sterilisationen entschieden werden. Die Reichsregierung erhoffte sich dadurch Einsparungen, da es inzwischen nur noch wenige Ärzt*innen gab und die Operationssäle für Verwundete gebraucht wurden.

Es ist eine schwarz-weiße Fotokopie. Es ist ein einspaltiger Bericht einer Zeitung mit schwarzer Druckschrift auf weißem Papier.

Zeitungsmeldung: Totaler Kriegseinsatz; hier: Einschränkung der Durchführung des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 6.9.1944.

BArch R 36/1369.

Es ist eine schwarz-weiße Fotokopie. Es ist das Gesetz, veröffentlicht in einem Gesetzblatt. Der zweispaltige Text ist in schwarzer Druckschrift auf weißem Papier.

Auszug aus dem Reichsgesetzblatt Nr. 133 vom 27.11.1933 Blatt 996 – 999.

Kopie ArEGL.

Durch das »Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung« vom 24. November 1933 wurde die Sicherungsunterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt eingeführt. In §42a (5) und §42k wurde zudem die »Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher« (Kastration) als Strafe vorgesehen.

Bis 1933 gab es keine Behörde, die Erkrankte erfasste und verwaltete. Im Nationalsozialismus wurden mit dem »Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens« erstmals reichsweit Gesundheitsämter geschaffen. Sie sind bis heute an die Landkreisverwaltungen angegliedert. Ihre damaligen Hauptaufgaben waren die »erbbiologische Erfassung« und die Beratung in Angelegenheiten der »Erb- und Rassenpflege«. Andere Aufgaben wurden dem untergeordnet.

Es eine Seite als schwarz-weiße Kopie aus einem Gesetzblatt. Der Gesetzestext ist in kleiner Schriftgröße eng beschrieben und zweispaltig gedruckt.

Auszug aus dem Reichsgesetzblatt »Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens« vom 3.7.1934.

Kopie ArEGL.

Es ist eine hauchdünne Papierseite mit Maschinenschrift bedruckt. Der Text besteht nur aus einer Überschrift und einem einzigen Absatz, der die ganze Seite füllt.

Auszug aus dem am 7.3.1938 vor den Ärzten des Amts für Volksgesundheit Lüneburg gehaltenen Vortrages über die Gesundheitsverhältnisse im Stadt- und Landkreis Lüneburg.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 101/88 Nr. 275.

Bereits im März 1938 verkündete der Leiter des Lüneburger Gesundheitsamtes, dass 80 Prozent der Erkrankten und ihre Familien erfasst worden seien. Auch wären bis dahin rund acht Prozent aller Anträge auf Ehestandsdarlehen aus Gründen der Erbgesundheit von ihm abgelehnt worden. Diese Zahl, so rühmte sich der Leiter, liege weit über dem Reichsdurchschnitt.

Hier wurde geregelt, dass nur die als nicht erbkrank erklärten Menschen das Recht auf eine Eheschließung haben. Entscheidend war, ob durch die Verbindung »erbgesunder« Nachwuchs zu erwarten war. Galt man als »erbkrank«, wurde die Heirat nicht erlaubt. Auch eine Sterilisation führte nicht zur anschließenden Eheerlaubnis.

Es ist eine Seite aus dem »Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des Deutschen Volkes«. Das Papier ist leicht vergilbt. Der Text ist eng gedruckt. Im Gesetz sind handschriftliche Unterstreichungen mit blauem Bundstift. Die Passagen sind dadurch hervorgehoben.

Auszug aus dem »Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes« vom 18.10.1935.

BArch R 43-II/722.

Es ist eine weiße Papierseite mit Schreibmaschine eng beschrieben. Es ist eine Fotokopie. Es sind Kommentare zum Gesetz. Die Kommentatoren und ihre Kernaussagen sind unterstrichen. Es gibt auch Wortkorrekturen und handschriftliche Kommentare.
Die Abschrift des Erlasses über die Meldepflicht ist mit Schreibmaschine auf gebräuntem Papier geschrieben. Die Seite ist eng beschrieben und vergilbt. Es gibt keinen freien Textrand, der Text reicht bis zum Seitenrand.

Obwohl es kein »Sterbehilfegesetz« gab, wurde die Meldepflicht für Kinder auf Erwachsene ausgeweitet. Auf dem Gebiet des Deutschen Reiches wurden Einrichtungen aufgefordert, ihre Erkrankten zu melden. Die Meldung und Erfassung bildeten die Grundlage für die Verfolgung und Ermordung.

Am 1. September 1939 fängt
der Zweite Weltkrieg an.
Alle Krankenhäuser und Anstalten haben jetzt
eine neue Pflicht:
Sie müssen alle Erwachsenen melden,
• die eine Behinderung haben.
• die eine seelische Krankheit haben.
Dafür gibt es eine Liste.
So wissen die Nazis, wo die Kranken leben.
Das hilft den Nazis,
diese Menschen zu ermorden.

Es ist ein Papier-Formular mit schwarzer Schrift auf weißem Papier. Das Formular ist nicht ausgefüllt. Neben den Personendaten wird abgefragt, ob jemand Kriegsteilnehmer war, ob die Person regelmäßig Besuch bekäme, seit wann die Person in einer Anstalt ist, mit welcher Diagnose oder aufgrund welchen Deliktes, ob es eine Beschäftigung gäbe und falls ja, welche. Die Schrift ist in Altdeutsch. Im unteren Bereit ist ein mit dicker Linie umrandetes Rechteck, in das nur die Gutachterinnen und Gutachter Eintragungen machen dürfen. Die Frage, ob jemand Kriegsteilnehmer im Ersten oder Zweiten Weltkrieg war, ist nachträglich per Stempel hinzugefügt worden.
Es ist ein maschinengeschriebener Brief auf vergilbtem Papier. Darin wird der Regierungspräsident in Minden auffordert, jüdische Erkrankte nach Wunstorf zu verlegen. Die wichtigen Aussagen sind unterstrichen. Es gibt keine Originalunterschrift. Mit einem roten Bleistift ist ein 7 und eine 6 notiert, die Bedeutung ist unbekannt.

Herbert Linden aus dem Reichsministerium des Innern forderte alle Heil- und Pflegeanstalten der Provinz Hannover dazu auf, ihre jeweiligen Erkrankten, die für eine Ermordung infrage kamen, bis zum 1. August 1940 zu melden. Hierzu gehörten auch die Erkrankten der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt.

Es ist ein maschinengeschriebener Brief auf vergilbtem Papier. Darin wird der Regierungspräsident in Osnabrück auffordert, Erkrankte zu melden. Es ist kein Original, sondern eine Abschrift, daraufhin deutet ein Stempel mit Unterschrift.

Brief des Reichsministers des Innern, Herbert Linden, an den Regierungspräsidenten Osnabrück vom 14.6.1940.

NLA Osnabrück Rep. 430 Dez 303 Akz. 19/56 Nr. 237.

Ein Satz aus dem Brief des Reichsministeriums des Innern vom 26.7.1940.

NLA Hannover Hann. 155 Göttingen Acc. 58/83 Nr. 10.

Es ist die letzte Seite eines Krankenblattes. Das Blatt ist DIN A3, mittig gefaltet. Es ist die rechte Innenseite. Dort wird die Aetiologie und die Diagnose abgefragt. Es gibt vier verschiedene Handschriften mit Tinte und Bleistift bei der Aetiologie. Zum Beispiel soll Theodor Jenckels Schwester ebenfalls erkrankt sein. Als Ursprungsdiagnose des Gutachters ist notiert »geistiger Schwachsinn mittleren Grades«. Mit der Handschrift von Rudolf Redepenning ist mit blauer Tinte die Anstaltsdiagnose »Schizophrenie« notiert.

Auszug aus dem Krankenblatt von Theodor Jenckel. Aus seiner »geistigen Schwäche mittleren Grades« wurde im Zuge der Meldung »Schizophrenie«.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/066 Nr. 07981.

Da die Meldungen den Vorgaben des Reichsministeriums des Innern entsprechen mussten, fälschte der Arzt Rudolf Redepenning die Krankenakten. Er änderte die zunächst gestellte Diagnose oder ergänzte sie um den Eintrag »Schizophrenie«. Auf diese Weise gelang es der Lüneburger Anstalt, die geforderten über 480 Erkrankten zu melden.